H E R B E R T    L O R E N Z

Bildhauer  -  Maler  -  Graphiker



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In einer Podiumsdiskussion über Gemeinsamkeiten moderner Literatur, Musik und Bildender Kunst, die von dem Literaten Walter Höllerer, dem Musiker Hans Heinz Stuckenschmidt und dem Maler Hann Trier geführt wurde, formuliert Trier Prinzipien moderner Kunst, von denen eines insbesondere für die hier vorgestellten Werke von Herbert Lorenz relevant ist.

Es handelt sich um das Prinzip der Reduktion.

In der modernen Bildenden Kunst lassen sich eine ganze Reihe von Varianten der Reduktion identifizieren:
Die Impressionisten vernachlässigen das Inhaltlich-Stoffliche, konzentrieren sich auf das Licht und schaffen dadurch neue Wertigkeiten.
Die Expressionisten reduzieren differenzierte Farbabstufungen hin zu reinen Farben und großen Formen.
Die Kubisten reduzieren von einer bildnerisch imaginären Dreidimensionalität auf die zweidimensionale Fläche und gewinnen dadurch Möglichkeiten der Gestaltung, die bis dahin weitgehend ungenutzt waren.

In den Arbeiten von Herbert Lorenz dominiert ganz augenfällig die Reduktion der Formenwelt auf das gestaltmäßig Wesentliche. Er knüpft an vertraute Formwahrungen an, reduziert, elementarisiert und entwirft so eine Art bildnerische Ursprache der Gestalt und Figur. Er schafft sich ein Repertoire von Archetypen, mit denen er immerzu thematisch experimentiert. Das Experimentieren führt aber auch zu einer ständigen Ausdifferenzierung und damit zur Erweiterung des Repertoires. In der bildnerischen Reduktion auf archetypische Gestalten und Figuren ist meines Erachtens die schöpferische Originalität des Künstlers Herbert Lorenz zu sehen. Und sie gründet auf einer bewundernswerten Beherrschung der Proportionen der Formenwelt — ein Beleg, daß Phantasie und Kreativität, daß künstlerische Existenz eben das Können voraussetzt: das intensive Studium der Proportionen, die Beherrschung der Techniken und des Materials.

Die bildnerischen Mittel von Herben Lorenz finden in klassischen Texten der Weltliteratur ein adäquates thematisches Betätigungsfeld. wie es die hier vorgestellten Zeichnungen, Radierungen und Lithographien belegen. Die großen, zumeist tragischen Gestalten der Weltliteratur gewinnen in der Eindringlichkeit des archetypischen Figurenrepertoires eine visionäre Dimension. Sucht man nach Gemeinsamkeiten der literarischen Bezüge in der Bilderwelt von Herben Lorenz, dann findet man sie eben im Tragischen des Menschseins, wie es sich in der Medea des Euripides, im Orest von Sartres Fliegen, im Faust des Johann Wolfgang Goethe, in der Mutter Courage des Bertolt Brecht variantenreich spiegelt. Darüber hinaus dominieren die namenlosen tragischen Figuren der literarischen Welt des Franz Kafka, die der Strafkolonie , des Schlosses , des Prozesses , der Verwandlung , des Landarztes .

Und nicht zuletzt geben biblische Motive den Anlaß zu bildnerischer Reflexion, wie wir sie hier in den Kohlezeichnungen Hiob , Kreuzigung , geschundener Mensch erkennen können.

Von der Tragik und Tragödie ist es dann nur ein Schritt zur Komödie. So hat sich der Künstler folgerichtig mit dem Klassiker der Komödie, mit Aristophanes auseinandergesetzt. Die Frauen am Thesmophorenfest heißt jene Parodie, in der Euripides und Agathon als Hauptdarsteller zur Verspottung ihrer eigenen Werke eingesetzt sind. In der Konsequenz dieser Thematik kehrt Herbert Lorenz zurück zu einer weniger streng reduzierten Formensprache.

Herbert Lorenz' besondere Affinität zu Kafkas Texten mag daran liegen, daß dessen literarische Figuren geradezu als Synonyma gelten für das Geworfensein des Menschen in die Welt, für die Ratlosigkeit des Menschen in der Welt und vor sich selbst. In der Verbildlichung, der Visualisierung von Kafka-Texten begegnen sich meines Erachtens zwei sehr ähnliche Wahrnehmungsweisen der Welt wie in einem Wechselwirkungsprozeß. Die Folge ist nicht Illustration, sondern Visualisierung - neuschaffend - interpretierende Umsetzung der literarischen Anregung, nicht Suche nach Text-Bild-Kongruenzen.

Von der Qualität der Begegnung des Künstlers mit Franz Kafka zeugt die Tatsache, daß seine Bildvision zur Strafkolonie in einer Mappe mit acht Lithographien in das Malerbuch-Kabinett der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel aufgenommen worden sind, wie auch die Pfälzische Landesbibliothek diese Mappe erworben hat.

Bei den den Blättern zugeordneten Texten ist zu beachten, daß diese in Elementen aus der Erzählung herausgenommen und von Herbert Lorenz in Collagemanier zusammengefügt wurden. So ergibt sich daraus ein eigenständiges Bild-Text-Gefüge. Bertolt Brecht zeigt uns in seinem Stück vom Dreißigjährigen Krieg die Sinnlosigkeit menschlicher Existenz. Die von Menschen zu verantwortenden gesellschaftlichen Verhältnissen sind es, die die besten Fähigkeiten der Menschen in ihr Gegenteil verkehren. Der Krieg fördert Tugenden und führt dazu, daß diese als Antrieb zu physischer und moralischer Vernichtung verkommen. Eindrucksvoll assoziieren die Litho-Blätter zur Mutter Courage solche Haltungen der Niederlage und des Aufbäumens — in der figürlichen Gestaltung stark reduziert, prägnant und doch zurückhaltend entworfen haben sie eine visionäre Ausstrahlung.

In den lavierten Federzeichnungen zur Goethes Faust, Unikate jeweils, sind im wesentlichen freie Assoziationen zur Thematik der Tragödie zu sehen. Inhaltlich und technisch fungieren diese Blätter auch als Entwürfe für Radierungen. Sie spiegeln deshalb auch einen möglichen Werdegang der Annäherung von Herbert Lorenz an die Literatur.

Die Kohlezeichnungen Meditationen runden das literarisch-bildnerische Themenfeld der vorliegenden Auswahl ab. Indem sie die Selbstbesinnung des Menschen bildnerisch anmahnen, übernehmen sie so etwas wie eine therapeutische Funktion.

Als Herbert Lorenz von Westfalen in die Südpfalz umgesiedelt ist, schrieb eine Zeitung, er sei eine künstlerische Bereicherung dieser Region. In seiner künstlerischen Originalität, wie sie der Zusammenhang zur Literatur verdeutlicht, sehe ich in ihm eine Ausnahme-Erscheinung, wie sie auch außerhalb der Regionen, in denen er bisher tätig war, selten genug ist.

Prof. Dr. Erich Renner